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Cushing-Syndrom
Epidemiologie und Klassifikation
Das endogene Cushing-Syndrom ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 1:200.000 bis 1:400.000 pro Jahr. Prinzipiell muss zwischen den ACTH-abhängigen und den ACTH-unabhängigen Formen des organischen Cushing-Syndroms unerschieden werden.
Die ACTH-abhängige Formen werden ausgelöst durch:
a) ein ACTH-produzierendes Hypophysenvorderlappendenom (Morbus Cushing) oder durch
b) eine ektope paraneoplastische ACTH-Produktion (selten).
Demgegenüber liegt bei den ACTH-unabhängigen Formen eine primäre Erkrankung der Nebenniere(n) vor:
- Nebennierenrindenadenom
- Nebennierenrindenkarzinom
- bilaterale mikronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie
- bilaterale makronoduläre Nebennierenrindenhyperplasie
Neben dem klassischen Cushing-Syndrom wurde in den letzten Jahren das sogenannte präklinische bzw. subklinische Cushing-Syndrom als eigenständiges Krankheitsbild beschrieben. Hierbei handelt es sich um einen Glukocortikoidüberschuss auf dem Boden eines Nebennierenadenoms ohne die typische klinische Symptomatik des Cushing-Syndroms. Die Häufigkeit dieses Krankheitbildes soll 5-10fach höher als die des klassischen adrenalen Cushing-Syndroms sein.
Symptomatik
Die typischen und mitunter sehr augenfälligen klinischen Symptome des Cushing-Syndroms sind stammbetonte Adipositas (im auffälligen Kontrast zu den schlanken Extremitäten), Vollmondgesicht, Stiernacken, Hautveränderungen (dünne atrophische Haut, Rötung der Haut vor allem im Gesichtsbereich, Einblutungen in die Haut aufgrund verminderter Festigkeit der Gefäße, Striae distensae), Myopathie, arterielle Hypertonie, Depression sowie bei weiblichen Patienten Zyklusstörungen und Hirsutismus. Bei männlichen Patienten kann es zu Potenzstörungen kommen. Bei den meisten Patienten besteht zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits eine Osteoporose.
Diagnostik
Endokrinologische Diagnostik
Richtungsweisende Befunde sind die vermehrte Ausscheidung von Cortisol im 24-Stunden-Urin sowie die aufgehobene Cortisoltagesrhythmik. Die Diagnose wird durch eine fehlende Supprimierbarkeit des Cortisolspiegels im Dexamethasonhemmtest bewiesen. Zur Differenzierung zwischen dem adrenalen und dem ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom wird der ACTH-Spiegel bestimmt. Ist er supprimiert, so spricht dies für ein adrenales Cushing-Syndrom. Weitere Sicherheit kann durch den CRH-Test gewonnen werden. Ist ACTH auch durch die Gabe von CRH nicht stimulierbar, so ist die adrenale Ursache der Erkrankung bewiesen. Des weiteren zeigt die fehlende Stimulierbarkeit der ACTH-Sekretion im CRH-Test an, dass die gesunde Nebenniere atrophiert ist, so dass nach Entfernung der betroffenen Nebenniere mit einer längerfristigen Substitutionspflichtigkeit von Glucocorticoiden gerechnet werden muss.
Bildgebende Diagnostik
Beim adrenalen Cushing-Syndrom, dem ein benignes Nebennierenrindenadenom oder ein Nebennierenrindenkarzinom zugrunde liegt, gelingt der Nachweis der Raumforderung fast immer. Methode der Wahl ist die Computertomographie. Adenome und Karzinome lassen sich hier nahezu immer darstellen und mitunter schon durch Größe und Morphologie in benigne oder maligne differenzieren. Außerdem können gleichzeitig gewisse Hinweise auf eine Atrophie der kontralateralen Nebenniere gewonnen werden. Ebenso ist die Darstellung der bilateralen makronodulären Nebennierenrindenhyperplasie unproblematisch, während sich mikronoduläre Hyperplasien dem Nachweis mittels bildgebender Diagnostik entziehen können.
Operationsindikation
Das Cushing-Syndrom ist unbehandelt eine tödliche Erkrankung. Ohne Therapie versterben innerhalb von 5 Jahren ca. 50% der Patienten. Eine längerfristige medikamentöse Therapie ist insofern nur bei Patienten mit einem inakzeptabel hohem Operationsrisiko zu rechtfertigen. Beim ACTH-abhängigen Cushing-Syndrom besteht die Therapie in der Entfernung des ACTH-produzierenden Tumors (neurochirurgische Entfernung des Hypophysenadenoms). Bei paraneoplastischer ACTH-Produktion ist dies häufig nicht möglich (z.B. kleinzelliges Bronchialkarzinom).
Besteht ein adrenales Cushing-Syndrom aufgrund eines cortisolbildenden Nebennierenrindenadenoms oder -karzinoms, so ist die vollständige Entfernung der betroffenen Nebenniere die kausale Therapie. Beim subklinischen Cushing-Syndrom ist die Indikation zur Entfernung der zugrundeliegenden Inzidentalome umstritten und derzeitig Gegenstand von Studien. Die Behandlung der seltenen ACTH-unabhängigen primären Nebennierenhyperplasie erfolgt durch die vollständige beidseitige Adrenalektomie.
Präoperative Vorbereitung der Patienten
Das operative Risiko von Patienten mit einem Cushing-Syndrom ist hoch und wird häufig falsch eingeschätzt. Die metabolischen und kardiovaskulären Störungen dieser Patienten müssen präoperativ so weit wie möglich normalisiert werden.Dies betrifft insbesondere den Elektrolythaushalt. Vor allem eine Hypokaliämie ist zu beseitigen. Ebenso müssen die bei den meisten Patienten bestehende Hypertonie und die diabetische Stoffwechsellage so weit wie möglich korrigiert werden. Zusätzlich haben Patienten mit einem Cushing-Syndrom ein erhöhtes Risiko, im perioperativen Verlauf thromboembolische Komplikationen zu erleiden, weshalb eine präoperativ begonnene sorgfältige Thromboseprophylaxe bei diesen Patienten besonders wichtig ist. Der Prädisposition für Infektionen durch den Hypercortisolismus sollte mit einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe begegnet werden.
Operation und postoperatives Management
Das Nebennierenrindenadenom oder -karzinom wird durch die Entfernung der betroffenen Nebenniere therapiert. Die Nebennierenrindenhyperplasie erfordert die vollständige bilaterale Adrenalektomie. Peri- und postoperativ ist die Substitution von Glukocortikoiden erforderlich. Die Erholung der Nebennierenfunktion nach einseitiger Adrenalektomie wegen eines adrenalen Cushing-Syndroms kann mehr als ein Jahr dauern. Nach beidseitiger Adrenalektomie ist die lebenslange Substitution von Glukocortikoiden und oft auch von Mineralocorticoiden erforderlich. Die Patienten müssen darauf hingewiesen werden, dass die Substitutionsdosis in Stresssituationen erhöht werden muss. Sie sollten einen entsprechenden „Steroidausweis“ bei sich tragen.
Komplikationen
Während der Adrenalektomie können Nachbarorgane verletzt werden. Bei der linksseitigen Adrenalektomie sind dies insbesondere das Pankreas und die Milz, auf der rechten Seite Leber und Duodenum. Wichtiger als die seltenen Verletzungen parenchymatöser Organe sind Gefäßverletzungen, die insbesondere beim minimal-invasiven Vorgehen rasch zu unübersichtlichen Verhältnissen führen können. Auf der linken Seite können die Nierengefäße verletzt werden, während bei der rechtsseitigen Adrenalektomie insbesondere die Vena cava inferior gefährdet ist.
Verfahrenswahl
Gerade für Patienten mit einem adrenalen Cushing-Syndrom benigner Ursache eignen sich die minimalinvasive Operationstechniken in besonderer Weise. Wegen der Stammfettsucht sind beim konventionellen Vorgehen oft relativ große Inzisionen erforderlich. Zudem besteht bei diesen Patienten aufgrund der vermehrten Cortisolproduktion ein erhöhtes Risiko für Wundheilungsstörungen. Die endoskopische Adrenalektomie gilt in entsprechend erfahrenen Zentren daher bei diesem Krankheitsbild als das Verfahren der Wahl. Wird ein konventionelles Verfahren gewählt, bietet sich der dorsale Zugang durch das Bett der 12. Rippe an, da hierbei die postoperative Darmatonie vermieden werden kann.
Ergebnisse
Nach ein- bzw. beidseitiger Adrenalektomie bei Patienten mit einem Nebennierenrindenadenom bzw. einer bilateralen Nebennierenhyperplasie kann das Cushing-Syndrom sicher und dauerhaft beherrscht werden. Im Laufe weniger Wochen verschwinden die metabolischen Veränderungen und die Muskelschwäche. Die Normalisierung des Blutdrucks, der Hautveränderungen und des Hirsutismus kann deutlich längere Zeit in Anspruch nehmen. Dies gilt insbesondere bis zum vollständigen Verschwinden des Übergewichts und der Fettverteilungsstörung, was bis zu einem Jahr dauern kann.
Mortalität und Morbidität
Die Operationssterblichkeit beträgt heutzutage weniger als 3%. Die Komplikationsrate ist demgegenüber aber relativ hoch (zu den Zeiten der auschließlich konventionellen Operation bis zu 40 %). Zumeist handelt es sich um Wundheilungsstörungen, pulmonale Infekte und thromboembolische Komplikationen.
Langzeitprognose
Das Langzeitüberleben der Patienten kann unter anderem durch die Möglichkeit einer Addison-Krise bei unzureichender Steroidsubstitution beeinträchtigt werden. Aus diesem Grund haben Patienten mit einem Nebennierenrindenadenom als Ursache ihres Cushing-Syndroms die beste Prognose. Ihre Lebenserwartung differiert nur unwesentlich von der eines altersentsprechenden gesunden Vergleichskollektivs. Die Prognose von Patienten nach vollständiger Adrenalektomie wegen einer bilateralen Nebennierenrindenhyperplasie ist schlechter.
Adrenalektomie beim Morbus Cushing (hypophysäres Cushing-Syndrom)
Die neurochirurgische Entfernung des ACTH-produzierenden Hypophysenadenoms ist zur Behandlung des Morbus Cushing die Therapie der Wahl. Die Rezidivrate beträgt allerdings im Langzeitverlauf 40-50%. Ist dies der Fall oder ist die Hypophysenoperation erfolglos, so wird die die Indikation zur bilateralen Adrenalektomie gestellt. Dies beendet den Hypercortisolismus rasch, zuverlässig und endgültig. Der Eingriff ist aber mit einer signifikanten Mortalität und Morbidität verbunden.Weitere Nachteile sind die Notwendigkeit einer lebenslangen Substitution der Gluko- und Mineralocortikoide sowie die Möglichkeit der Entwicklung eines Nelson-Syndroms. Dies ist eine kutane Hyperpigmentation, verbunden mit einem Hypophysentumor, dessen aggressives Wachstum zu einer Größe führen kann, bei der er symptomatisch wird.
Ergebnisse
Im Gegensatz zu den neurochirurgischen Eingriffen an der Hypophyse lässt sich der Hypercortisolismus nach einer vollständige bilateralen Adrenalektomie zuverlässig und dauerhaft beherrschen. Allerdings bilden sich die Symptome langsamer zurück als beim Cushing-Syndrom mit primär adrenalem Ursprung und es verschwinden nicht immer alle Symptome vollständig.
Morbidität und Mortalität
Die Mortalität ist etwas höher als bei Operationen wegen eines adrenales Cushing-Syndroms. Sie wird in der Literatur mit 4-7 % angegeben. Auch hier scheinen sich mit den minimal-invasiven Techniken bessere Ergebnisse erzielen zu lassen. Es sind die gleichen postoperativen Komplikationen wie bei den Operationen wegen eines adrenalen Cushiong-Syndroms zu beobachten.
Langzeitprognose
Die Langzeitprognose ist bei diesen Patienten im Vergleich zu Patienten mit einem Cushing-Syndrom aufgrund eines Nebennierenrindenadenoms schlechter. Die Ursachen für den vorzeitigen Tod dieser Patienten sind in erster Linie kardiale Erkrankungen. Weitere wesentliche Gründe sind Addison-Krisen und die Folgen des Nelson-Syndroms.
Peri- und postoperative Substitutionstherapie
Die Substitution von Gluko- und Mineralocortikoiden erfolgt in gleicher Weise wie bei Patienten, die wegen eines ACTH-unabhängigen Cushing-Syndroms einer beidseitigen Adrenalektomie bedürfen.